Oriol Saladrigues

Zur Musik Oriol Saladrigues‘

Musik als gestaltete Zeit und Musik als Medium der Kommunikation – diese beiden elementaren Formen kompositorischen Denkens treten in den Werken von Oriol Saladrigues Brunet besonders in den Vordergrund. Zeit erscheint dabei einerseits als globale Dauer, als Ausdehnung des Stücks, andererseits aber als Proportion, als Verhältnis seiner Teile zueinander, von der Ebene der Formabschnitte bis hinab zur Folge einzelner Notenwerte und Pulsationen. Wie beide Zeitformen zusammenhängen, wie dieser Zusammenhang zum Gegenstand bewusster Gestaltung werden kann und wie dabei insbesondere der Umgang mit Irregularitäten zugleich kontrollierbar und möglichst flexibel bleibt, das ist eine Frage, die für Oriol Saladrigues schon seit einigen Jahren im Zentrum seiner Arbeit steht. Komponieren wird in dieser Perspektive zu einer Form künstlerischer Forschung und das einzelne Werk zu einer Versuchsanordnung, einem Experiment. Mehr noch als ohnehin schon erscheint der Schaffensprozess unter solchen Voraussetzungen als ein Wagnis, sieht sich der Komponist mit dem Risiko des Scheiterns konfrontiert. Schönheit jedoch ist nur jenseits von Sicherheit zu haben, und Oriol Saladrigues weiß das. Seine Inclinations vers l’instable für Violoncello solo (2009), ein Schlüsselwerk für seine Beschäftigung mit Fragen der zeitlichen Organisation von Musik, entfalten eine Entwicklungsdynamik, die sich einerseits aus der spezifischen strukturellen Verknüpfung von Formteilen, Rhythmen und Tempi speist, die andererseits aber auch der Ausweis einer genuinen dramaturgisch-kompositorischen Fantasie ist. Diese Fantasie zeigt sich auch in größer besetzten Werken wie mòbil (2010) für sieben Instrumente (darunter als wichtigste Protagonisten zwei Schlagzeuger) oder Moby Dick (2012/14). Beide entwickeln weiter und übertragen auf andere Gestaltungsebenen, was in Inclinations an musikalischen Möglichkeiten erkundet wurde.

Die kompositionstechnische Rigorosität und der Forschergeist Oriol Saladrigues’, wie sie hier zutage treten, bedeuten aber keineswegs, dass seine Musik auf Mitteilsamkeit verzichtet. Im Gegenteil, die Idee von Kommunikation und Sprachlichkeit ist vielen seiner Werke buchstäblich eingeschrieben: Kompositionen wie Presse (2011) für sieben Stimmen, Orchester und Live-Elektronik operieren zwar auch mit dem reinen Klang von Sprachlauten, wenden sich aber darüber hinaus mit einer klaren Aussage an die Zuhörer. In Presse artikuliert Oriol Saladrigues eine soziologisch inspirierte Medienkritik; in Top Ten (2010) für drei Stimmen und Ensemble hingegen ist es das Internet, seine Trivialitäten und Zudringlichkeiten, die zur Kenntlichkeit verzerrt dargestellt werden. Die latente Theatralität der Sprachkomposition und das Expressive ihrer Stimmbehandlung lassen dabei beide Werke wie das Kondensat einer Oper wirken. Aber auch in vorderhand rein instrumentalen Stücken wie dem schon erwähnten Sextett Moby Dick nutzt Oriol Saladrigues die klanglichen und semantischen Möglichkeiten der Sprache, wenn er die Musiker mit und ohne Instrument flüstern, wispern und zischen lässt. Kommunikation in und mit Musik ist hier und in den anderen Werken von Oriol Saladrigues zugleich Mittel und Gegenstand vielfältigen, dramaturgisch ambitionierten und erfindungsreichen Komponierens.

 

Markus Böggemann