Dank

von Mariss Jansons

Gewöhnlich stehe ich mit dem Rücken zum Publikum. Wenn ich heute eine Rede mit dem Gesicht zum Publikum halten soll, so ist das für mich eher ungewohnt. Ich kann nur hoffen, dass ich nicht viel schlechter rede, als ich dirigiere …

Heute ist für mich einer der wichtigsten und aufregendsten Tage meines Lebens, denn mir wird eine große Ehre zuteil – der Ernst-von-Siemens-Musikpreis ist eine der bedeutend-sten Auszeichnungen. Schon beim Blick auf die Liste der bisherigen Preisträger kommt es mir vor, als hätte man mich in den musikalischen Olymp erhoben. Und das weckt sogleich unterschiedliche, verwirrende Gefühle. Nicht nur Freude und Stolz, wie es für jeden Menschen natürlich wäre. Nach einer flüchtigen Selbstanalyse und einigem Nachdenken drängt sich die Frage auf: Warum gerade ich, was habe ich so Besonderes getan?

Aber die Entscheidung des hochgeschätzten Kuratoriums lässt mich hoffen: Vielleicht haben sie ja tatsächlich recht, vielleicht bin ich doch ein ganz guter Dirigent?

Aufrichtig und von ganzem Herzen möchte ich Herrn Prof. Borchmeyer und dir, liebe Bettina von Siemens, als Vertreter des Stiftungsrates, dir, lieber Thomas Angyan als Kuratoriumsvorsitzenden, natürlich auch allen Mitgliedern des Kuratoriums und allen, die an der Auszeichnung mitgewirkt haben, für diesen Preis danken.

Thomas Hampsons Laudatio macht mich glücklich! Thomas ist nicht nur einer der herausragenden Musiker und Sänger unserer Zeit, sondern auch eine Persönlichkeit von Weltruf. Er steckt immer voll neuer Ideen und Projekte und hat ein riesiges Repertoire. 
Seine Mahler-Interpretation setzt Maßstäbe und dient uns allen als Vorbild. Er verfügt nicht nur über eine außerordentliche Stimme, sondern auch über immense musikalische Kultur und Tiefe der Interpretation. 
Thomas, ich danke dir nicht nur für die Laudatio, sondern auch für unsere musikalische Partnerschaft, für all die ergreifenden Auftritte und das unermessliche Vergnügen, mit dir zu musizieren, was ich nur schwer in Worten ausdrücken kann.

Wie E. T. A. Hoffmann gesagt hat: „Wo die Sprache aufhört, fängt die Musik an.“

Wenn ich über mein Leben nachdenke, so muss ich sagen: ich habe es vollkommen der Musik gewidmet. 
Und das Leitmotiv all dieser Jahre, das sehe ich klar, ist harte, mühevolle, bisweilen erschöpfende Arbeit. Eine ernsthafte Einstellung zu Studium und Beruf, völlige Hingabe an das Schaffen und die Kunst, dies ist mein Lebensprinzip! Immer habe ich das Ziel verfolgt, ein hohes professionelles Niveau und absolute Qualität zu erreichen. Früher oder später, da bin ich mir sicher, führt das zu Respekt bei den Kollegen und zu Anerkennung beim Publikum. 
Eine zusätzliche Motivation ist der Wunsch, Musikliebhabern Freude zu bereiten. 
Ich möchte heute meinem Publikum für sein Interesse und seine Aufmerksamkeit danken. 

Aus Anlass dieser hohen Auszeichnung habe ich mir Gedanken gemacht über die wunderbaren Menschen, die in meinem Werdegang und meiner Entwicklung eine große Rolle gespielt haben.

Erstens meine Eltern.

Wie Du, Thomas, schon gesagt hast: Sie versuchten, mir die wahren Werte des Lebens und der Moral einzugeben, haben mich erzogen, mir eine gute Ausbildung gegeben und, ohne Druck, die Musik zu meinem Beruf gemacht.

Bis heute habe ich die Ratschläge meines Vaters im Gedächtnis: „Besser ein gutes Konzert weniger als ein schlechtes mehr.“

Oder wie er zum Beispiel über die Interpretation von Tschaikowskys Musik sagte: „Seine Musik ist ohnehin gefühlsbetont, da braucht man nicht noch Zucker in den Honig zu tun.“

Mit außerordentlicher Dankbarkeit denke ich an meine großartigen Lehrer zurück. Als ich fünf war, begann meine musikalische Ausbildung, und sie dauerte 23 Jahre. Das Schicksal hat mir wunderbare Lehrer geschenkt. Besonders erinnern möchte ich an zwei herausragende Dirigenten und markante Persönlichkeiten, an Herbert von Karajan und Jewgeni Mrawinski, die mein gesamtes Schaffen unglaublich beeinflusst haben.

Auch meine Dirigentenkollegen müssen erwähnt werden. Die Gespräche mit ihnen, der Besuch ihrer Proben und Konzerte inspirierten mich immer und haben mir viele Impulse gegeben.

Hinter mir liegen 45 Jahre künstlerischen Schaffens. In dieser Zeit hatte ich das Glück, mit vielen wunderbaren Solisten zu musizieren. Diese Zusammenarbeit hat mir viel Freude bereitet und unvergessliche Eindrücke beschert. Dafür möchte ich mich ganz herzlich bedanken. 

Es ist die Musik, die sehr vielen Menschen Freude bringt, sie nachdenken, empfinden, weinen und sich erregen lässt, denn sie drückt die gesamte Palette unserer Gefühle und Emotionen aus. Mahler hatte, so glaube ich, genau das im Sinn, als er meinte, dass er mit seiner Musik die ganze Welt umarmen möchte.

Ich spreche über die Musik, denn ich bin ja Dirigent. 
Aber ich möchte Sie daran erinnern, dass in der Musik nicht der Dirigent, sondern das Orchester den Klang produziert. 
In einer englischen Humor-Zeitschrift fand ich folgenden Satz: 
„Der Dirigent ist ein Mensch, der vor dem Orchester steht und mit den Armen fuchtelt, der sich außerdem am Ende verbeugt und damit das Zeichen gibt: jetzt ist Zeit, nach Hause zu gehen!“
Der Dirigent gibt keinen einzigen Ton von sich, er spielt auf keinem Instrument im Orchester, allerdings singt er manchmal mit. So wie ich. Es ist das Orchester, das der Musik Klang gibt. 
In meinem Leben hatte ich das Glück, mit vielen Orchestern dieser Welt aufzutreten. Die Arbeit mit jedem von ihnen hat die Entwicklung meines Schaffens beeinflusst. 
Und ich bin sehr froh darüber, dass ich die Möglichkeit habe, regelmäßig die besten Orchester der Welt zu dirigieren.

Aber eine besondere Freude sind meine beiden großartigen Orchester, deren Chefdirigent ich bin: 
das Königliche Concertgebouw-Orchester Amsterdam und das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks. 
Was ist es doch für ein großes Glück, mit solch erstklassigen Musikern zu arbeiten! Ihnen danke ich von ganzem Herzen für unsere künstlerische Zusammenarbeit. 
Und unbedingt erwähnen möchte ich den hochprofessionellen Chor des Bayerischen Rundfunks, mit dem zu arbeiten mir immer große Freude bereitet.

Ich kann mir mein Leben nicht ohne Musik und ohne Dirigieren vorstellen. 
Diese Betätigung erfordert Kraft und Energie, schenkt mir aber auch viel Freude! 

Ich kann mir mein Leben auch nicht ohne Liebe vorstellen.
Ich bin meiner Frau Irina sehr dankbar für unsere gegenseitige Liebe, für ihre Unterstützung, ihre Hilfe und Sorge! 

Vermutlich würden Sie sich wundern, wenn ich hier nichts über meinen alten Wunschtraum sagen würde – über Münchens neuen Konzertsaal. 
Seit den zehn Jahren, die ich hier arbeite, denken die Bayern vielleicht, ich sei ein dressierter Papagei, trotzdem sage ich es noch einmal: 
Diese Stadt hat drei Konzertsäle, das Leben entwickelt sich jedoch weiter, darum braucht München einen neuen erstklassigen Saal. 
Das würde nicht nur erlauben, die Traditionen fortzusetzen, sondern gäbe auch neue Impulse für einen Aufschwung des Musiklebens. Außerdem ist es doch unvorstellbar, dass das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, eines der besten und anerkanntesten Orchester der Welt, von den führenden Orchestern das einzige ist, das keinen eigenen Konzertsaal hat! Dieses Orchester gehört nicht nur dem Rundfunk. Musik und Orchester sind kein Privateigentum. Es gehört allen – München, Bayern, Deutschland, der Welt, eben allen, die die Musik lieben. 

Meine Damen und Herren, ich habe beschlossen, mein Preisgeld komplett dem neuen Konzertsaal in München zu spenden. 
Mir ist klar, dass dies nur ein kleiner Teil der Bausumme ist, die der Konzertsaal kosten wird, aber ich sehe meine Entscheidung als einen Aufruf an, in der Hoffnung, dass die Idee eines neuen Konzertsaals verwirklicht wird.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche Ihnen alles Gute.